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Episode
007

J.B.Becker

Johann Josef "Hajo" Becker

Folge
007

J.B.Becker, Walluf/Rheingau (2/2)

May 2, 2021
mit
Johann Josef "Hajo" Becker
00:46:27

Kapitän Kork


Der zweite Teil eines Gesprächs mit Johann-Josef Becker, genannt Hajo, schon über Jahrzehnte eine der Kernfiguren des Weingeschehens im Rheingau, und einer der ersten, der es hierzulande schaffte, sowohl rote als auch weiße Weine auf Weltniveau zu produzieren.

Ging es in der ersten Folge noch hauptsächlich um die Küfer und Kommissionäre der Vergangenheit, den Berg Bildstock, und alles rund um Walluf, um Rhein-, Sonnen-, Vitus- und Oberberg, sind wir heute vor allem im Walkenberg. Dann mal kurz unten im Keller, und vorher noch an einem ganz besonderen Ort, aber dazu später mehr.

Und natürlich im Weingarten der Familie, wo wir uns einerseits schon jetzt für manches Nebengeräusch entschuldigen möchten - wo uns aber das Gesagte dennoch wichtig genug erschien, um es nicht unter jenen Esstisch fallen zu lassen - und, nun ja, die ASMR-Freunde unter Ihnen werden sicherlich auf ihre Kosten kommen.

Aber… Zeit, den Herrn selbst zu Wort kommen zu lassen!

Hier geht es im Laufe des Gespräches hin. #Spukitius

TS: Wie sehr haben denn die Erfahrungen aus dem Weinhandel in Generationen vorher reingespielt, Jahrgänge zurückzuhalten und lange einzulagern, bis sie in den Verkauf gehen?

HJB: Nee, es war ja früher an für sich üblich, dass ein Rheingau-Riesling erst im zweiten oder dritten Jahr getrunken wurde. Da war ja auch teilweise die Weinwerbung drauf abgestellt.

TS: In welcher Form war das darauf abgestellt?

HJB: Zum Beispiel gab‘s, kann ich mich erinnern, hängt, glaub ich, jetzt noch so ein Schildchen bei uns. Als DWI damals rausgegeben: „Jetzt den 64er trinken!“ Das war vielleicht ´67 oder ´68. Das hat sich natürlich alles total gewandelt. Es geht alles auf schnell, schnell, schnell. Es haben sich auch die Ausbaumethoden gewandelt, mit diesen ganz hyperfruchtigen Weinen, kaltvergoren, mit speziellen Hefen. Und die Weine leben natürlich von ihrer Fruchtigkeit. Wenn die mal weg ist - und die bleibt nicht stehen, dann fangen die an, langweilig zu werden. Die sollten schon in zwei Jahren getrunken sein. 

HJB: Und das, was früher auch die Wertigkeit ausgemacht hat, dass man gesagt hat, „hier, Rheingau-Riesling ist wie ein Bordeaux-Wein, was das Altern angeht. Das ist der lagerfähigste Wein für Weißwein und so…“, ja, pfff. Da hebt gar keiner mehr drauf ab. Das interessiert kaum mehr einen. 

TS: Aber wurde das dann seitens der Winzerschaft forciert, weil der Kapitaldruck zu hoch war, um so auch mal was zurückzuhalten?

HJB: Nein, es war halt, dass immer mehr Leute immer größer wurden, dass die viel Wein hatten. Dass es dann auch mit den Märkten losging. Ich behaupte mal, vor vierzig, fünfzig Jahren ist der meiste Wein über Fachhandel und Gastronomie gelaufen. Das ist besprochen worden, da haben die Leute was erklärt gekriegt. Und heute gehen die Leute ans Regal und sollen zugreifen. Da muss man natürlich - wir fahren jetzt erstmal untenrum - Schlagworte haben auch.

Das ist noch ein altes Haus. Alles andere hier ist neu. 

Und auch der Walkenberg, das ging früher bis hierhin. Oben, unten nicht. 

Und das ist jetzt wieder ein neues, kleines Neubaugebiet, was sie hier ausgewiesen haben. 

TS: Welchen Prozentsatz von einem Jahrgang legst du denn auf Seite?

HJB: Das ist ganz unterschiedlich. Das ist ganz unterschiedlich. Ich denke mal, „auf Seite legen“ kann man ja erst sagen, wenn der mal über zehn Jahre alt wird. Bis zehn Jahre ist er bei mir ja in der offiziellen Liste drin, ja. Also, hier geht‘s jetzt los. Das ist Becker Walkenberg

Hier ist wieder relativ viel Stein. Da unten ist noch mehr Stein. 

Bin ich das schon wieder hier? Nee, war nix.

Das Teil hieß auch früher Steinritz, dann kam hintendran Röderweg, und dann hintendran kam Walkenberg. Walkenberg, der Name, kommt vom Tal unten. An dem Wallufbach, der ist nur siebeneinhalb Kilometer lang, hat aber viel Wasser geführt, und da waren im Mittelalter um die zwanzig Mühlen. Unter anderem auch Walkmühlen, die also Leder bearbeitet haben, und deshalb hier, der Walkenberg, war halt gegenüber von den Walkmühlen. Das ist jetzt ein zweijähriges Jungfeld, ganz toll gewachsen, weil hier halt viel Wasser ist.  

Das ist alles Riesling. Der Spätburgunder hier, die paar Zeilen, sind ungefähr acht Jahre alt, da muss auch noch richtig ausgedünnt werden. Dann hier, mein Lieblingsweinberg, ´59 gepflanzt, der leidet jetzt richtig. Da ist nicht mal mehr eine geschlossene Zeile. 

TS: Und da macht‘s auch keinen Sinn, zwischendurch einzelne Stöcke zu ersetzen?

HJB: Hier hatte ich schon mal angefangen, Stöcke zu ersetzen. Hier, deshalb ist es noch ein bisschen geschlossener. Da, hier unten, der Weinberg ist auch knapp 50 Jahre alt. Ein Riesling. Da haben wir jetzt schon ein bisschen rausgeschnitten hier. 

Ja, und das ganze Gebiet hier, wollte ich vorhin erzählen, da hatten die in der Gemeinde mal vor, Baugebiet drauszumachen. Und deshalb bin ich vor vierzig Jahren in die Politik gegangen. Um zu verhindern, dass hier Baugebiet entsteht. Und wenn es Splitterparzellen gewesen wären, ohne dass wir hier fünf…, da hinten der Weinberg ist Weller, das ist also Toni Jost. Bis dahin war alles Becker, und deshalb, an dem Klotz kommen die nicht vorbei. Sonst laden die sich ja die einzelnen Besitzer ein, und dann werden die heiß gemacht, von wegen, was sie für ein Geld verdienen, und wenn dann mal so ein Drittel bis die Hälfte gebröckelt hat, dann ziehen die das einfach durch. Aber hier, das war einfach ein Bollwerk, da ging nix, und deshalb… ist der Walkenberg noch so erhalten, wie er hier steht.

TS: Da macht man sich auch nicht nur Freunde, oder?

HJB: Nee, aber das macht nix. Wie heißt’s manchmal? Viel Feind‘, viel Ehr‘? Na, wenn man halt eben eine Überzeugung hat, und für die einsteht, ist es schon klar, dass da mal der ein oder andere das nicht ertragen kann. Weil er vielleicht auch bloßgestellt wird bei der Geschichte. 

TS: Welche Rolle spielt denn der Weinbau an sich für den Ort, außer dass so komische Typen wie wir natürlich niemals was davon gehört hätten?

HJB: Also, der Ort ist ja… da gibt’s ja eine Urkunde, die in München im Museum ausgegraben wurde. Dass ein Wallufer Bürger zu seinem Seelenheil dem Kloster Lorsch Grundstücke, unter anderem auch Weinberge in Walluf, überschrieben hat. Und diese Urkunde stammt aus 779. Und da es keine ältere gibt, sind wir die älteste urkundlich erwähnte Weinbaugemeinde des Rheingaus.

Das ist auch nochmal Spätburgunder. Das sind übrigens nachgezogene von dem alten Weinberg. Die hab‘ ich dann rübergeholt, veredelt. Den hab‘ ich vor zwei Jahren ausgehauen, der war über 50 Jahre alt. Ein Riesling, und der muss jetzt bestimmt noch mal fünf, sechs Jahre brachliegen, damit der Boden sich richtig erholt, und dann wird der wieder neu bestockt.

TS: Hast du den dann damals auch schon selbst gesetzt?

HJB: ´59? Nee. Drei Jahre später bin ich in die Lehre gekommen. 

TS: Ganz so wild war es mit der Kinderarbeit im Rheingau dann doch noch nicht.

HJB: Ja, aber was wir gemacht haben in der Zeit, wenn wir in die Schule kamen: wir sind alle schon zur Weinlese mitgegangen, gell. Früher konntest du ab zehn oder zwölf mit in die Weinlese gehen. Und es war unheimlich beliebt bei den Kindern. Die wollten alle Geld verdienen. Und dann gab es extra Ferien, und irgendwann sind die Ferien so gelegt worden, dass bloß kein Kind mehr Zeit hat, in die Weinlese zu gehen. Weil das ja alles ganz verwerflich ist. Dabei haben wir das alle gern gemacht. Das war eine Riesengaudi gewesen.

Hier sieht man diese braunen Dinger, die da drinhängen. Das ist von der Hitze verkocht vor drei Wochen. Hier. Und das ist keine Krankheit. Ist auch kein echter Sonnenbrand. Das war einfach zu heiß. 

TS: Was für Temperaturen hattet ihr hier?

HJB: Och, da war es im Stock über vierzig Grad. Und da hat‘s dann natürlich ein bisschen hingelangt.

TS: Für wie groß hältst du denn realistisch die Gefahr, dass es hier mal in absehbarer Zeit keinen Wein mehr trägt?

HJB: Von der Natur her?

TS: Ja.

HJB: Also hier, gering, sehr gering. Weil hier von Natur aus sehr viel Wasser im Boden ist.

TS: Hast du da bei anderen Stücken, anderen Lagen, andere Befürchtungen?

HJB: Ja, z.B. im Sonnenberg, wo wir vorbeigefahren sind, diese Kiesadern, da wird‘s schon ein bisschen schwieriger. Wir hoffen ja, dass jetzt wirklich mal richtig Wasser kommt, das kann ja nicht sein.

Und die Bewirtschaftung mit den Maschinen, das geht von drüben aus. Wollt ihr euch das angucken?

TS: Gerne.

HJB: Die ganzen Weinbergsmaschinen, die stehen ja drüben in der Halle. Von da aus wird auch gespritzt und alles gemacht. Ich hab‘ mich früher mal mit Pferden beschäftigt, hab‘ Kutschpferde gehabt. Das ging alles von da drüben aus. Aber ich weiß nicht, wo ich die Zeit damals hergenommen hab‘. Das wäre heute ausgeschlossen.

TS: Der ein oder andere Abstrich im Privatleben?

HJB: Ich bin früher… wie mein Vater und mein Onkel noch da waren… ich bin sechs bis acht Wochen im Jahr gesegelt. Richtig Regatta-Zirkus. Travemünder Woche, Kieler Woche, die ganzen Walchenseen abgesegelt. Und Ende der 70er Jahre war das dann vorbei.

TS: Hatte das einen bestimmten Grund?

HJB: Ja, ich war zu sehr gefordert hier im Betrieb. 

HJB: Ah, mein Mitarbeiter!

TS: (Zeigt auf Grafitti) Heißt aber keiner Lukas?

HJB: Quatsch, das sind irgendwelche Schmierereien. 

Dies. Das. Verschiedene Dinge. (shouts an KKS, Audio&Yassin, Dexter)

HJB: Gut, gut. Wie weit biste gekommen?

(…)

HJB: OK. Also, hier ist das ganze… Hier ist übrigens das alte Schiff von meinem Vater noch. Ein alter 45er, Nationaler Kreuzer. Baujahr ´26, aber kaputtes Totholz. Der müsste also von unten rauf komplett aufgebaut werden. Und ich glaube, das kann ich mir nicht mehr geben in meinem Leben. Das muss mal irgendjemand anders machen. Da hinten liegt noch ein alter Pirat, das ist mein erstes Schiff gewesen. Ich kann mich halt schwer von was trennen. 

TS: Ist das das erste Schiff gewesen?

HJB: Nee, nee, das war mein erstes Schiff, da hinten. Der Pirat, von A&R (Abeking & Rasmussen), Baujahr ´56. Nö, das hat… mein Vater hat immer 45er gefahren, das war sein Faible. Der hat hier bestimmt fünf, sechs Schiffe hergebracht, und dann wieder neue gesucht. Der lag früher mal auf dem Ammersee und dann auf dem Bodensee. Super, oben alles in Ordnung, nur unten das Totholz ist kaputt. Und das ist eine Scheißarbeit, da müssen die ganzen Spanten abgetrennt werden, alles neu mit Spanten bezogen werden… Kostenpunkt, was weiß ich, 85000, 90000 Euro. Und da muss man halt Liebhaber sein. Wenn einer kommt und sagt, hier, mach ich, räum ich’s ihm raus, kann er’s mitnehmen. Hier, kann ich anhängen, hochziehen, kein Problem. 

Und hier um die Ecke ist der Pferdestall. Wir können ja noch ein Stück laufen hier.

Da stehen noch ein paar alte Kutschen. Die linke ist ein Jagdwagen vom Schloss Johannisberg, rechts vom Schloss Vollrads, das ist ein Geländewagen, ein moderner. Aber schön wars, nur, es ist vorbei. 

Da waren die Pferdeställe drin. 

TS: (Sieht ein Schild) Humor ist eigentlich auch ein ganz guter Pferdename.

HJB: Die waren… im Sommer konnten die immer raus und rein, wie sie wollten. 5000 Quadratmeter. 

Tja, haben wir viel Spaß gehabt, wir zwei. Mal gucken, wenn Eva, das Lottchen, Spaß hat. Das aufzubauen geht schnell, das ist kein Problem. 

TS: Das ist eigentlich ein ganz gutes Alter, um Segeln zu lernen.

HJB: Ja, ich hab‘ mit acht angefangen.

HJB: Und da, hier die Bude… Der alte Kohleherd meiner Großmutter mütterlicherseits. Dann habe ich mir hier oben ein Hochbett reingebaut. Und hier hab‘ ich mal fünf Jahre gelebt. Wie unten diese Firma auseinandergemacht wurde, da ist mein Häuschen den anderen in die Hand gefallen, und da war ich so richtig stinkig. Die haben’s dann abgerissen, da hab‘ ich gesagt, so, jetzt zieh ich mich hier zurück. Das war eine ganz gute Zeit. Weil keiner wusste, ist er da, ist er nicht da. Ich hab‘s Auto rausgefahren, hab‘ die Tür zugemacht, und dann konnte ich hier machen, was ich wollte.

Hatte ich Schafe, meine Pferde, Hühner. Hab‘ mal ein Jahr lang gemolken, hab‘ selbst Käse gemacht. 

(…)

HJB: Ah ja, komm, dann fahr mit. Mach die Tür zu, fährste mit.

HJB: Wie du willst… kannste auch einsteigen.

Das gehört alles mit dazu hier. Das hab‘ ich von der Gemeinde, über die Flurbereinigung, von der Gemeinde geholt. Das sind also hier oben ungefähr knapp 7000 Quadratmeter, und da könnte ja die Eva auch noch eine neue Kellerei hinstellen. Wir machen sofort hier Anschluss an die Hauptstraße. Da geht‘s um die Ecke…, ist man auf der Autobahn... Hier, wo der Pfosten ist.

TS: Aber spricht irgendwas wirklich dagegen, die Kellerei unten weiter zu betreiben?

HJB: Ja, unten ist natürlich mit Hochwasser und so - du weißt ja nicht, was da noch alles kommt. Da unten im engen Ortskern, wenn ich z.B. Flaschen kriege, dann ist hier zweieinhalb Stunden alles gesperrt, gell. 

TS: Ah, da macht man sich auch nicht nur Freunde.

HJB: Also, logistisch, und auch von der Arbeit her… wesentlich einfacher, wenn man das unten nur zur Repräsentation nimmt und den Weingarten, und dann die ganze Produktion hier hoch verlegt.

TS: Wenn man dieses Bild mit dem gefrorenen Rhein und dem Hochwasser, den Fässern, sich so hernimmt, ist es ja Wahnsinn, was so ein Betrieb über die Jahre alles…

HJB: …ja, mitgemacht hat. Der Rhein (auf dem Bild) ist ja Rüdesheim, Rüdesheim in den 20er Jahren.

HJB: So… Hunde, komm. Aus, aus, aus! Sollen wir noch schnell durch den Keller laufen?

Wo die Wahrheit wohnt.

HJB: Flaschenlager. Füllanlage, mit der ich mich jetzt gleich noch beschäftigen muss. Hier draußen ist die Annahme. Ist alles ein bisschen durcheinander gestellt hier. Das sind die zwei alten Willmes-Pressen, mit denen ich alles mache. Und da gibt‘s da hinten noch so eine kleine, 1000er. Ich liebe diese Pressen. Weil ich individuell spielen kann und… sind zwar keine Vollautomaten, aber es muss sowieso einer hier sein.

TS: Was machst du mit dem alten Rebholz?

HJB: Brennholz. Muss weg. Der Winter war nicht so hart, wie ich gedacht hab‘. Das muss ich jetzt alles an die Halle rauffahren, dass das hier aus den Füßen ist, muss alles leergeräumt werden hier. 

Das ist unser Keller. Das geht durch bis auf die andere Straßenseite, und das ist unser Keller, und das ist unser Keller. Jetzt gehen wir runter.

TS: Das klingt so, als gäbe es genug Fläche.

HJB: Da liegen so… ältere. Teilweise auch noch Reste aus der Weinhandlung, die gar nicht von uns sind. 

TS: Je nachdem, woher die so sind, ist es ja dann aber auch ein archäologischer Spaß.

HJB: Dann haben wir hier… die Fülltanks, für hochzupumpen. Da hinten ist ein Fasskeller, hier ist ein Fasskeller hintendran. Da hab‘ ich grad mal aufgemacht, weil ich an diesen Motor muss. 

Den Aufzug hat‘s erwischt. Unten, die Schienen müssen verlängert, angeschweißt werden. Ich hab‘ mich die ganze Zeit gewundert, wieso der so wackelt unten. Jetzt habe ich einen Monteur hier gehabt, der kommt wirklich…, seitdem es diesen Aufzug gibt, wird der jedes Jahr gewartet, seit ´69. Kriegen die nicht mit, dass diese Dinger da unten abfaulen!

Ist nur für Licht. Und dahinter das Flaschenlager. Leider sind diese Keller alle zu niedrig. Weil, wenn ich hier einen Meter tiefer gehe, stehe ich im Wasser. Das ist dem Strom geschuldet. 

TS: Aber dafür ist es ja eine Menge an Platz, von der viele andere auch nur träumen können.

HJB: Na ja, könnt‘ mehr Platz gebrauchen. 

Wenn's mit dem Penicillin mal wieder eng werden sollte.

HJB: Es riecht hier so schräg, weil mir da eine Lampe abgebrannt ist. Dieser Geruch ist kaum rauszukriegen. Ich kann jetzt bei der Temperatur nicht ständig lüften, da mach‘ ich mir den ganzen Keller warm. 

Da sind noch zwei alte Keller. Und, es ist jetzt ein bisschen Schimmel gewachsen, weil ich nicht die Zeit habe, ständig Fässer von außen sauber zu machen. Aber das ist auch nicht so schlimm. 

TS: Gute Spinne.

HJB: Das ist weiß, das ist der schwarze Kellerschimmel, der verfärbt sich grau, und wenn er dann im Dauerzustand ist, ist er hier schwarz. Das ist, wenn er wächst. Nennt sich auch das Kellertuch, guck, hier ist ein bisschen abgefallen. Wächst ganz dick, ist ein Artverwandter des Penizillins, und im Ersten Weltkrieg haben die in Frankreich aus den Kreidekellern das Zeug rausgerissen, und haben Wunden damit behandelt. 

TS: Und nutzt du die Fässer dann für irgendwas bestimmtes?

HJB: Die sind alle in Benutzung, die da drüben nicht mehr. 

TS: Die haben auch schon was auf dem Buckel, oder?

HJB: Ja ja, die sind…teilweise noch scho, da in der Mitte liegt eins, das ist noch voll. 

HJB: Und hier werde ich mich jetzt die nächsten drei Wochen bis zur Ernte rumtreiben müssen. Alles füllfertig machen. Dann muss ja noch gefüllt werden. Und dann harren wir der Dinge, die da kommen. Das ist alles Rotwein hier. Ich bin ja ersoffen in Rotwein voriges Jahr, das war ja unglaublich. 

TS: Bitte?

HJB: In Rotwein, das waren ja unglaubliche Erntemengen, die da reinkamen letztes Jahr.

HJB: Alles ohne Etikett, weil die Etiketten hier unten vergammeln. Das muss dann immer, wenn‘s hochkommt, abgewaschen, etikettiert werden. Deshalb ist das jetzt mit dem Aufzug ein Riesen-Malheur. Ich krieg ja keine einzige Flasche mehr raus. Kann ja nix mehr hoch fahren.

TS: Aber so ein bisschen künstliche Verknappung kann ja auch für die Preisentwicklung…

HJB: Nein, nein, also, wenn jetzt ein Auftrag kommt, der muss ja raus, die Leute wollen ja Wein haben. Jetzt hab‘ ich einen Freund überredet, der mir die Woche noch den Aufzug wieder richtet. Geht natürlich nur in so einem kleinen Ort, wo jeder jeden kennt, gell.

So, eine Hand wäscht die andere, und dann geht das. 

TS: Und was steht dann jetzt morgen zur Füllung an, oder heute Abend?

HJB: Nee, nee, morgen, morgen, morgen. Heute machen wir nix mehr. Rosé. Rosé Liter. Ist der erste ´18er, den ich dann fülle... 

TS: Und selbst bei den Sachen, die tendenziell eher früh gefüllt werden, wartest du dann…

HJB: Es gibt nichts, was tendenziell früh gefüllt wird, bei mir.

TS: Was ist das hier?

TS: Die Firma…

HJB: Die Firma, die das Lager gebaut hat. Moskopf, ´59, ´60, ist das gebaut worden. 

TS: Ziemlich gutes Logo. Gibt‘s die noch?

HJB: Ich glaube, die gibt‘s noch. Das ist natürlich früher… ist ja alles von Hand reingesetzt worden, gell. Und die heutigen Flaschen, die sind so vergütet, da musst du überall Toilettenpapier dazwischenlegen, sonst flutschen die raus, die bleiben gar nicht liegen.

Wir haben ja früher Freistöße gesetzt. So, einfach, Flasche an Flasche auf Latten und dann hochgesetzt, mit so Eisenwinkeln dran. Heute bei der Füllung, zack, zack, in die Gitterboxen runter, Aufstapeln, fertig. Du hast früher viel mehr Leute gebraucht. Wenn man dann noch in den Keller ausgelagert hat, der oben an der Bahn war: da waren ja vier Mann beschäftigt mit Fahren. Und Aussetzen und Runterrutschen. Runterrutschen und Hochtragen, da waren ja keine Aufzüge drin. 

TS: Dann braucht man auch kein Fitnessstudio. 

HJB: Nee, das war richtig Scheißarbeit. OK, wollen wir hoch?

TS: Yup.

Moskopf. Gutes Logo.

HJB: Nochmal, zum Wohl!

TS: Prost!

TS: Du hast dich relativ früh für die Glasstopfen entschieden, oder? 

HJB: Weltweit der erste. Ich hab‘ auch mit denen ziemlich eng zusammengearbeitet, bevor die dann kamen. Ausprobiert. Und ich bleib‘ auch dabei. Der Glasstopfen hat nur das Problem, abgesehen davon, dass er relativ teuer ist gegenüber dem Schraubverschluss, er ist auch in schnell laufenden Vollautomaten schwer zu handlen. Weil der sich so schwer stabilisieren lässt. Durch dieses Gewicht, das er hat.

TS: Und wo kam die Überlegung her?

HJB: Mit dem Glasstopfen? Das war ein Arzt, der Doktor Mathis, in Alzey, der mal ursprünglich Weinbau studiert hatte, dann hat er eine Frau kennengelernt, die aber Medizin studiert hat. Dann hat er umgeschult auf Medizin. Hat sich immer über die Korkgeschmäcker geärgert, und hat - zu seiner Zeit in Geisenheim - sagt er, hier, da muss doch Glas auf Glas gehen. Hat dann an Schlifflaschen gedacht. Ist aber zu kompliziert und auch viel zu teuer. Man kann keine Schliffkorken... die Produktion, das ist ja alles Wahnsinn. Und dann kam er auf die Idee mit diesem Dichtring, und hat dann mit Alcoa sich zusammengetan. Alcoa ist ja ein Aluminium-Hersteller. Und die haben diese Kappen gemacht, oben, um es festzuhalten, denn die wollten ja Kappen verkaufen… Das Problem ist das Auskühlen dieses Klumpens Glas, dass es ja dann die Form behält und sich nicht verändert, keine Risse kriegt... Das hat nur eine tschechische Firma hingekriegt, und die hat es heute komplett übernommen. Das wird alles aus der Tschechei auch vertrieben. Und die arbeiten mit Spezialisten. Die machen auch ganz viel im Moment in der Schnapsbranche. Liköre und sowas. Ist halt ein Nischenprodukt. Es wird niemals die Menge besetzen, aber ich sag mal, wenn man schon von Hand liest, und alles handwerklich macht, dann darf es daran nicht scheitern. Das ist für mich wirklich, weil es auch so ein schönes Hand-Feeling hat, gell, es ist die Perfektion.

TS: Ist ja wenig elendiger, als in eine alte Magnum den Korkenzieher einzuführen, und plötzlich nur noch so Sand vor sich zu haben. 

HJB: Dass er reinfällt, der Korken?

HJB: Da gibt‘s einen ganz guten Trick: Flaschen mit Kork, die wirklich alt sind, wo man nicht weiß, wie der Korken reagiert, probier ich‘s erst gar nicht. Da nehm ich ein starkes Küchenmesser, mach die Kapsel ab, hau von oben gegen den Rand, dann platzt das genau ab, kann ich den abziehen, dann guckt der Korken so weit raus. Ich trau mich ja was, ich geh dann mit den Zähnen dran und zieh ihn raus. Ansonsten kann man zwei Gabeln nehmen, und da ist man sicher, der fällt nicht rein. Hab‘ ich letztens, wie wir vor drei Jahren in New York war, hab‘ ich‘s den Leuten auch vorgeführt, die waren völlig begeistert. 

OJ: Du säbelst den Korken durch mit dem Glas?

HJB: Das platzt genau an der Bandmündung, platzt das ab. 

HJB: Auf die Idee kamen wir schon ´62 als Lehrlinge. Wenn wir diese Stapel gesetzt haben, und wollten einen trinken: grad hier so genommen, zack. An dem Regal vorbeigezogen, abgeplatzt, rausgezogen, haben wir sie ausgesoffen, haben wir sie fallengelassen, mit dem Kork zusammengekehrt, und haben gesagt, die ist uns hingefallen. War ja keine Verletzung am Kork gewesen, das mussten sie uns ja abnehmen. 

OJ: Starke Methode.

TS: Wie groß waren denn die Jahrgänge bei dir in Geisenheim?

HJB: Da waren sechzig Gartengestalter da, und zwölf Weinbauern. Und wir haben richtig Zoff gemacht. Du musst überlegen, früher hast du kein Abitur gebraucht für Geisenheim. Das ist mir sehr zu Pass gekommen, weil ich ja ein fauler Hund bin. Du musstest Mittlere Reife haben, eine abgeschlossene Lehre, und insgesamt vier Jahre Praxis. Dann konntest du in Geisenheim anfangen, zu studieren. Also, Abitur wäre verlorene Zeit gewesen. Da noch die Lehre drauf und noch die vier Jahre Praxis… Und da mein Vater so viel älter war, hab‘ ich mich also durch die Schule durchgedrückt, mit allem Möglichen, der Pfarrer hat mir geholfen, hat mir Nachhilfe in Latein gegeben, lauter so Geschichten.

Ja, dann waren wir eben zwölf Mann im Semester, und wir haben natürlich auch mit den Professoren diskutiert. Wir haben ja Praxiserfahrung gehabt. Wenn die uns was vom Pferd erzählen wollten, dann haben wir gesagt, das funktioniert doch gar nicht. Da gab‘s heiße Diskussionen. Das war schon ganz spannend. Wenn ich mir das heute angucke: die Leute haben ein unheimlich großes Wissen, aber praktisch - wie ein Lehrling. Wir haben auch noch praktisch in Geisenheim gearbeitet, in der Kellerwirtschaft, wir haben Filter angesetzt, mussten alles machen. Wir mussten alles erklären können. 

Ganz lustig war’s, wie wir das erste Mal probiert haben, hat der alte Drost (???) uns auf den Hof gestellt. Hat einen Eimer verkehrtrum genommen, Kreidekreise hingezogen, hat jedem eine Flasche Wasser in die Hand gedrückt und hat gesagt, „stellt euch im gleichen Abstand hier hin, ich komm gleich wieder“. Wenn du es schaffst, in den Kreis reinzuspucken, dann kannste auch mitkommen, Wein probieren. Damit du in den Eimer triffst, und nicht der Boden versaut wird. 

TS: In welchem Jahrgang hast du deinen Abschluss gemacht?

HJB: ´68.

TS: Das heißt, so ganz kurz vor dem aktuellen Dönnhoff Senior?

HJB: Wann hat der gemacht?

TS: Der sagt zumindest, er war ´68, ´69 in Geisenheim. 

HJB: Ah ja, ich kenn den ja gut. 

TS: Heute funktioniert das ja ganz klar auch als Vernetzungsort.

HJB: Was die heute machen, ist super, internationale Weinwirtschaft, die ganzen Geschichten, gell. Allerdings war es zu meiner Zeit so… Die nicht zuhause in den Betrieb sind, die haben alle zig Angebote gehabt. Ich hab‘ einen Freund aus Frankfurt, der hat keinen Betrieb daheim gehabt, ist erstmal zwei Jahre durch die Welt gedüst. Hat sich überall einladen lassen. Ein halbes Jahr reingeschnuppert, hat gesagt, „ich muss jetzt erstmal weiter, vielleicht komm ich wieder“. Leider auch schon tot.

Ganz guter Freund von mir, der Henning Fischer, der ist ganz früh gestorben. Dr. Fischer, an der Saar. Der ist zwei Jahre lang gestorben, der hat Krebs gehabt. Kommt aus einer Ärztefamilie und die haben immer wieder gedacht es gibt was, Hoffnung oder so… ganz schlimm. 

TS: Das dachte ich neulich mal, als ich von einer Beerdigung kam. Dass sich das ja irgendwann so dreht, dass man öfters auf Beerdigungen als auf Hochzeiten ist. 

HJB: Immer, wenn ich so auf Beerdigungen bin, dann nehm ich das zum Anlass, und sag, Leute, nächstes Jahr treffen wir uns irgendwann, aber unter Lebenden. Wenn einer tot ist, habt ihr die Zeit? Mit dem könnt ihr nicht mehr reden, der hätte sich gefreut, wenn ihr nochmal mit ihm geredet hättet. Lasst uns einfach mal öfters treffen. 

TS: Ist es einfacher, mit Winzern, Kollegen befreundet zu sein, die weiter weg sind?

HJB: Nö. Ich hab‘ hier zwei Kollegen, die mit mir zusammen studiert haben. Mit dem einen bin ich nicht unbedingt befreundet, wir sehen uns, aber mit dem anderen zusammen hab‘ ich ein Jagdrevier und alles Mögliche. Wir tauschen uns ständig aus. Da ist auch kein Konkurrenzdenken. Ist doch mit das Schlimmste, was es in so einem Beruf gibt, wenn man auf irgendeinen neidisch ist. Ja, der macht‘s doch vor, mach‘s doch nach, ist doch ganz einfach. Wenn der nen Erfolg hat, ist es doch gut für‘s Gebiet. Dann muss ich nicht hingehen, und den bei anderen Leuten schlecht reden. 

Das war ja früher in den Weinbaugebieten so. Wenn einer unten in (Oestrich-)Winkel nach dem Schloss Vollrads gefragt hat, und kam zu einem Winzer… „Och, der ist doch viel zu teuer da oben, kommen Sie doch zu mir, ich hab auch guten Wein“. Was ein Scheißdreck. 

Die haben vergessen, den Hund zu füttern.

TS: Na, wenn der jetzt die Wurst riecht, dann beschwert der sich nicht zu Unrecht.

HJB: Schmeckt euch die Wurst? Dann geh ich rein, hol noch ein bisschen und bring den Hund mit in den Schatten.

Noch einmal der Gastgeber, hier, wo jahrelang das Zentrum seiner Welt war.

Sie hörten Episode 7 von Charakter/Böden, einer Yadastar-Produktion.

Der Meister an der Mischung war Marc Übel,

Torsten Schmidt besorgte Redaktion, Interviews, Fotos.

Die Titelmusik kam von Oliver „Dorian Concept“ Johnson und Denis „Adlib“ Hürter.

Die restliche Musik via Frank Westerkamp und Denis „Adlib“ Hürter.

Website: Jan Niklas Jansen

Logo & Cover: Jonathan Gehlen

Die Adleraugen im Lektorat gehören Carmen Hofmann.

Alle zusammen möchten wir sehr gerne allen Winzer:innen, ihren Teams und ihren Familien danken.

Insbesondere Eva und Hajo Becker, für ihre Zeit, Geduld und Einsatz weit über diese Aufnahmen hinaus.

Wohlsein!